Alles auf einen Blick
Im Nahverkehr ist der Pulsschlag der Logistik besonders spürbar. Um hier den Überblick wahren und die Abläufe optimal steuern zu können, hat DACHSER in Europa eine neue Software an den Start gebracht: Short Distance Planning. Die Geschichte eines Systemwandels.
Wenn andere noch tief schlafen oder sich vielleicht gerade noch einmal gemütlich in ihrem Bett umdrehen, geht es hier bereits hoch her: Im DACHSER Logistikzentrum Augsburg in Gersthofen herrscht um fünf Uhr morgens Rush-hour. Es ist ein Kommen und Gehen an den Toren. Im Minutentakt docken Lkw an, werden ent- und beladen, um dann wenig später zu ihren Bestimmungsorten aufzubrechen.
Das klingt nach Hektik. Doch Markus Spanrunft und Muhammet Yilmaz winken ab. „Es läuft alles exakt nach Plan – genau so, wie es sein muss“, sagen sie entspannt. Die beiden Disponenten haben ihren Arbeitsplatz etwas abseits des großen Gewimmels im Großraumbüro, wo sich hinter den Fenstern die erste Morgendämmerung abzuzeichnen beginnt. Vor sich hat jeder zwei große Bildschirme, auf denen sich der gesamte Transport- und Verladungsprozess in Echtzeit abbildet. Von Papieren, Laufzetteln und Formularen, die sich sonst üblicherweise auf den Schreibtischen der Disposition stapeln, keine Spur. „Willkommen in der papierlosen Welt“, sagt Markus Spanrunft vergnügt.
Short Distance Planning heißt das Programm, mit dem DACHSER seine Nahverkehrsdisposition komplett neu digital aufstellt. Im Mittelpunkt steht eine Dispositionssoftware, die mit Hilfe von Algorithmen und Künstlicher Intelligenz den Sendungsprozess optimiert und die Supply Chain Visibility entscheidend voranbringt. „Und das alles maximal übersichtlich und bedienerfreundlich“, wie Carina Klaus vom Department Production Processes & Applications bei DACHSER betont. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Dennis Adler ist sie heute aus dem Kemptener Head Office nach Gersthofen gekommen, um die neue Software im Alltagseinsatz zu erleben und sich mit den Disponenten hinsichtlich möglicher Optimierungen des Programms auszutauschen.
Aus der Praxis für die Praxis
„Den Nahverkehr komplett neu digital zu erfassen und zu steuern, ist das Ergebnis eines Forschungsprojekts, das DACHSER vor einigen Jahren gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut für Verkehrs- und Infrastruktursysteme IVI auf den Weg gebracht hat“, erklärt Dominik Schnatterer, Department Head Production Processes & Applications bei DACHSER. „Daraus wurde dann später das Idea2net Projekt Short Distance 2.0. Im Rahmen des unternehmensweiten Ideenmanagements Idea2net waren daraufhin Mitarbeitende aufgefordert worden, Ideen aus ihrer Alltagserfahrung beizusteuern. Da sind über 340 Vorschläge bei uns eingegangen.“ Darauf aufbauend hätten die IT-Spezialisten von DACHSER dann die erste grafische Oberfläche erstellt und in mehreren User-Interface-Interviews auf ihre Anwenderfreundlichkeit und Praxistauglichkeit abgeklopft. „Das Ergebnis ist Short Distance Planning – eine Dispositionsinnovation aus der Praxis für die Praxis“, so Schnatterer.
„Wir haben mit Short Distance Planning ein ganz neues Regiepult vor uns, mit dem wir automatisierte Prozesse auslösen und alle Sendungsinformationen in Echtzeit abrufen können.“
Nach einer ersten Betaversion und umfangreichen Tests wurden im vergangenen Jahr zehn Pilot-Niederlassungen mit der neuen Software ausgestattet. Und schon im Herbst des gleichen Jahres startete der europaweite Rollout. „Wir hatten von Anfang an bei der Systementwicklung immer alle europäischen Road Logistics-Niederlassungen von DACHSER im Blick. Eine Insellösung, die nur in einzelnen Ländern funktioniert, kam für uns nicht in Frage“, erklärt Schnatterer. Die Implementierung des Systems in Europa laufe nun in sieben Wellen über etwa zwei Jahre. 2024 sollen 142 Niederlassungen mit Short Distance Planning arbeiten. Sobald dort das DACHSER-eigene Transportmanagementsystem Domino eingeführt ist, kommen dann auch Niederlassungen auf der Iberischen Halbinsel hinzu.
„Eine Software-Entwicklung, die Anwender, Partner und Kunden im gesamten europäischen Netzwerk unterstützt, in so kurzer Zeit zu realisieren, kann nur im starken Team funktionieren“, unterstreicht Dominik Schnatterer. „Wir hatten dazu im Kernteam rund 20 Kolleginnen und Kollegen aus Niederlassungen, der IT, unserem Requirements Management und der Fachabteilung. Da konnten viele unterschiedliche Kompetenzen und Erfahrungen ineinandergreifen.“
Spürbare Erleichterungen
Besonders wichtig war den IT-Entwicklern das Feedback der Anwender aus den Pilotniederlassungen. Und das fiel auf Anhieb sehr positiv aus. „Wir kommen in der Disposition aus einer sehr heterogenen Landschaft mit unterschiedlichen Datenquellen und Zustellsituationen“, sagt Carina Klaus. „Das hat in der Vergangenheit zu einer Vielzahl an Formularen, Dokumenten und Laufzetteln geführt, die wiederum einen hohen administrativen Aufwand für die Dispo und die Fahrerinnen und Fahrer mit sich bringen, aber den Informationsfluss im laufenden Prozess nicht weiter unterstützen.“ Dem stelle Short Distance Planning nun eine weitreichende Harmonisierung und Standardisierung der Prozesse mit einer intuitiv zu bedienenden Nutzeroberfläche gegenüber. „Alles wird spürbar leichter – und zwar auf Anhieb, weil sich das System praktisch selbst erklärt und man sofort mit ihm arbeiten kann.“
Das Ziel sei maximale „Supply Chain Visibility“. Damit verbindet sich für das DACHSER-Team zugleich eine klare Botschaft. „Die Digitalisierung ist bei DACHSER niemals ein Selbstzweck, sie dient dem Menschen, nicht umgekehrt“, betont Schnatterer. „Die Algorithmen übernehmen deswegen bei Short Distance Planning nicht das Heft des Handelns. Sie machen vielmehr Vorschläge, um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Disposition und am Lenkrad in ihrem Alltag bestmöglich zu unterstützen.“
So hat sich durch den Software-Einsatz beispielsweise die Kommunikation zwischen Dispo und Fahrpersonal bereits spürbar verbessert. Das ist in Gersthofen nicht zu übersehen. Statt Zettelwirtschaft am Disposchalter gibt es mit Short Distance Planning nun drahtlose Datenübertragung auf den Handheld – ein erkennbar entspannter Vorgang. Doch damit endet nicht das direkte Miteinander von Dispo und den Fah-renden. „Noch im Zustellprozess können wir beispielsweise Änderungen in der Routenplanung aufgrund von Verkehrsereignissen kommunizieren“, sagt Markus Spanrunft.
„Unser Ziel ist es, die Kunden immer termingerecht zu belie-fern und exakt das verabredete Zeitfenster mit den dann ver-fügbaren Kapazitäten zu erreichen“, bringt Christian Schnabel, Speditionsleiter von DACHSER in Gersthofen, die Erwartung an das neue System auf den Punkt. Die bisher gemachten Erfahrungen in der Logistikpraxis bestätigen ihn und sein Team. „Wir haben mit Short Distance Planning ein ganz neues Regiepult vor uns, mit dem wir automatisierte Prozesse zum Beispiel bei der Avisierung auslösen und alle Sendungsinformationen in Echtzeit abrufen können“, freut sich der Speditionsleiter. „Das ermöglicht es uns, in der Tourenplanung vorausschauend zu agieren und nicht nur zu reagieren.“ Die Abläufe seien damit maximal transparent. „Dass damit zugleich die Zustellquote in den jeweils verabredeten Zeitfenstern deutlich erhöht wird, wissen unsere Mitarbeitenden, die Fahrenden und die Kunden gleichermaßen sehr zu schätzen. Durch präzisere und frühzei-tigere Dispositionsergebnisse wird mit SDP auch die Warenstromsteuerung auf unserer Umschlagshalle optimiert. Das ist Win-win für alle.“
In Gersthofen ist es mittlerweile taghell. Um acht Uhr ist es im Umschlaglager deutlich ruhiger geworden. Für Markus Spanrunft und Muhammet Yilmaz und ihren Besuch aus Kempten Gelegenheit, die Abläufe noch einmal Revue passieren zu lassen. „Es ist einfach klasse, wie leicht das System zu verstehen und zu handhaben ist“, schwärmt Yilmaz. „Das macht einfach Spaß.“