Auf Zukunft programmiert
In der immer komplexer werdenden Welt erfordert die Bereitstellung erstklassiger Stückgutlogistik für die chemische Industrie eine ständige Weiterentwicklung. KI-Anwendungen spielen bei dieser dauerhaften Transformation eine Schlüsselrolle. Michael Kriegel, Department Head DACHSER Chem Logistics, erläutert, welche Potenziale KI in der Logistik hat und wie sie bei DACHSER dazu beiträgt, die aktuellen Herausforderungen zu meistern.
DACHSER hat sich das Thema Digitalisierung frühzeitig auf die Agenda geschrieben und mit der Einführung des NVE-Barcodes und hoch integrierten Kernsystemen die Logistikgeschichte ein Stück weit mitgeprägt. Heute sind es insbesondere Anwendungen des Machine Learning und der Künstlichen Intelligenz (KI), in denen sich das Unternehmen engagiert und die Digitalisierung vorantreibt.
Die digitale Transformation der Logistikbranche ist heute dringend notwendig, um die Qualität zu sichern und den Herausforderungen wie dem Mangel an Fahrern und Fachkräften zu begegnen. Mehr noch: Die Branche ist gefordert, die Geschwindigkeit bei der Adoption neuer Technologien weiter zu erhöhen und auch die gesellschaftlichen Megatrends, die unser Leben verändern, wie zum Beispiel Digitalisierung, Urbanisierung, E-Mobilität, oder Konnektivität in die Entwicklung einfließen zu lassen. Dabei gilt es, strategisch zu denken und das Steuerrad fest in der Hand zu behalten. Denn es kommt darauf an, die Entwicklung aktiv und vorausschauend zu gestalten. Bei DACHSER bearbeiten wir aktuell drei wesentliche Einsatzfelder für KI-Anwendungen, die auch Kunden aus der chemischen Industrie zugutekommen: Im Stückgut-Handling selbst, in den Planungsprozessen und schließlich auch beim Reduzieren von Emissionen.
Digitalisierung der Stückgutlogistik
Die Stückgutlogistik ist ein elementarer Faktor für die Wettbewerbsfähigkeit industrieller Volkswirtschaften und damit auch für die chemische Industrie. Auch hier werden die Verladungsmengen von Waren auf Paletten oder in Big Bags immer kleiner, sodass es sinnvoll ist, sich Laderaum mit anderen Verladern zu teilen. Nur so lässt sich die Ware kostengünstig, schnell und mit möglichst niedrigen CO2-Emissionen zuzustellen. Die deutliche Zunahme von Lieferungen an Endkunden sowie gebrochene Supply Chains stellen jedoch auch leistungsfähige Stückgutnetze vor Herausforderungen. Hier kommen intelligentes Datenmanagement, Algorithmen und KI ins Spiel, die in der Lage sind, mithilfe mathematischer Modelle die Muster und Strukturen ihrer eingegebenen Trainingsdaten zu „erlernen“ und daraus bestmögliche Lösungen zu generieren.
Ausgangspunkt ist dabei die Logistikpraxis. Hier spielen vor allem menschliches Know-how und physische Assets zur Leistungserfüllung, etwa Netzwerk- und Terminalstrukturen, eine Rolle. Besonders an den Knotenpunkten im Netzwerk, wo Fern- und Nahverkehr miteinander verbunden werden, entscheidet die Effizienz. Erfolgsfaktoren sind die gewerblichen Mitarbeitenden, allen voran die Be- und Entlader, die mit ihrer Erfahrung in der Lage sind, den Laderaum von Trailern und Wechselbrücken wie bei einem Tetris-Spiel optimal zu nutzen. Der Unterschied zwischen einem erfahrenen und unerfahrenen Belader kann bis zu 15 Prozent der Laderaumauslastung betragen. Angesichts der demographischen Entwicklung, dem damit einhergehenden Fachkräftemangel und der Flächenknappheit müssen vorhandene Ressourcen in Zukunft immer intelligenter und effizienter eingesetzt werden. Mit der technologischen Innovation @ILO, für den DACHSER Ende 2023 zusammen mit dem Fraunhofer Institut IML den Deutschen Logistik-Preis der Bundesvereinigung Logistik (BVL) erhielt, wurden die Prozesse in der Stückgutlogistik weitreichend digitalisiert.
Die digitale Transformation der Logistikbranche ist heute dringend notwendig, um die Qualität zu sichern und den Herausforderungen wie dem Mangel an Fahrern und Fachkräften zu begegnen.
Der Digitale Zwilling @ILO ist nicht weniger als ein Quantensprung in der Stückgutlogistik. Advanced Indoor Localization and Operations – kurz @ILO – kann ein vollständiges digitales Abbild eines Umschlaglagers in Echtzeit erzeugen. Als Identifikator dienen dabei zweidimensionale Datamatrix-Codes – ähnlich dem QR-Code –, die auf der Oberseite jedes Packstücks angebracht sind. Diese werden von mehreren hundert optischen Scaneinheiten an der Hallendecke erfasst. In Sekunden entsteht mit Hilfe von KI-basierten Algorithmen ein so genannter Digitaler Zwilling, ein Echtzeit-Abbild aller Vorgänge in der gesamten Halle, inklusive metergenauer Ortung und Volumenvermessung. So erhalten Staplerfahrende und Lagerarbeitende exakte Informationen auf ihre mobilen Geräte oder Displays, wohin ein Packstück zu bringen ist. Einzelne Prozesszeiten können so in einer Spanne von 15 bis 35 Prozent beschleunigt werden. Das gilt auch für Gefahrgüter, die natürlich weiterhin vorschriftsgemäß gekennzeichnet werden müssen. Das neue System kann diese Daten jedoch wesentlich effizienter und übersichtlicher bereitstellen, als dies bisher der Fall war.
@ILO ist das Ergebnis von mehr als sechs Jahren gemeinsamer Forschungsarbeit von DACHSER und dem Fraunhofer IML. Die Technologie ist mittlerweile bereits an vier europäischen Standorten im Einsatz und wird in den nächsten Jahren sukzessive in den größeren europäischen Niederlassungen von DACHSER ausgerollt.
Intelligent planen mit KI
KI kann aber nicht nur im Umschlaglager, sondern auch in der Warehouse-Automatisierung sinnvoll zum Einsatz kommen. Selbstfahrende Transportfahrzeuge, so genannte AGVs, erfassen über Sensorikelemente wie Kameras, Lidar und Radar die Umgebung und finden sich mittels KI selbstständig in der Warehouse-Umgebung zurecht. Sie können autark agieren und einfache, repetitive Abläufe abbilden, wie z.B. Paletten aus dem Warehouse in das Umschlaglager bringen.
Auch Planbarkeit ist in der Logistik ein entscheidendes Kriterium für Effizienz und Qualität. KI kann hier einen wertvollen Beitrag leisten, wie PAnDA One, das erste Machine Learning-Projekt von DACHSER, zeigt. Das Akronym steht für Predictive (P) Analytics (An) DACHSER (DA) sowie das erste seiner Art (One). Das Modell wurde speziell zur Prognose der Eingangsmengen einer Landverkehrs-Niederlassung konzipiert und stellt eine Entscheidungsunterstützung für die saisonale Kapazitätsplanung bereit. So lassen sich frühzeitig entsprechende Laderaumkapazitäten auf dem Markt sichern, beziehungsweise Ressourcen im Umschlaglager vorplanen. Dazu liefert das Prognosemodell entsprechende Eingangsmengen bis zu 25 Wochen im Voraus. Die Niederlassungen haben damit ein zusätzliches Hilfsmittel an der Hand, das das „Bauchgefühl“ der erfahrenen Speditionsleiter mit Daten unterfüttert und die im Kundengespräch gewonnenen Eindrücke validiert. Die Technik unterstützt den Menschen in seinen Entscheidungen.
Transport-Emissionen reduzieren
Nachhaltiges Handeln – in seinen ökologischen, sozialen und ökonomischen Dimensionen – bereitet den Weg für eine sichere und wirtschaftlich stabile Zukunft. DACHSER zielt bei den eigenen Anlagen und Fahrzeugen darauf, möglichst schnell auf Netto-Null-CO2-Emissionen zu kommen. In Freiburg, Hamburg und Malsch bei Karlsruhe hat DACHSER deshalb spezielle E-Mobility-Standorte etabliert. Dort werden schwerpunktmäßig emissionsfreie Lkw sowie deren Ladeinfrastruktur, die Nutzung und Eigenproduktion von erneuerbarem Strom sowie das intelligente Strom- und Lastmanagement erforscht und getestet. Es mag überraschend klingen, aber auch hier spielen Daten und ihre intelligente Nutzung eine entscheidende Rolle: Sie müssen im großen Stil erhoben werden, um daraus belastbare Modelle und Einsatzszenarien für die Umsetzung emissionsfreier Nah- und Fernverkehrstransporte zu entwickeln. Dies ist ein spannender Anwendungsfall für die zukünftige Anwendung von KI bei DACHSER.
Kritisches Denkvermögen ist gefragt
Gelernt hat DACHSER aus dem Einsatz von KI-Anwendungen, dass Machine Learning oft ein Vorgehen nach der „Trial-and-Error“-Methode bedeutet. Es gilt, Lerndaten so lange zu testen, bis eine hinreichende Genauigkeit erreicht und die Qualität des Ergebnisses für den Use Case ausreichend ist. Anders als beim herkömmlichen Coding braucht man vor allem eines: Geduld. KI kann aber auch Gefahren wie z.B. Kontrollverlust, Haftungsrisiken und weitere Herausforderungen mit sich bringen. Deswegen sollte jeder Prozess kritisch und mit gesundem Menschenverstand hinterfragt werden. Vor allem bietet die digitale Transformation aber große Chancen für eine nachhaltige, zukunftssichere Entwicklung. Dabei soll KI und Machine Learning die Menschen nicht ersetzen, sondern ihnen – wohl dosiert – helfen, fundiertere und damit bessere Entscheidungen zu treffen. Logistik wird auch in Zukunft von Menschen für Menschen gemacht. Jedes Unternehmen hat es auf diese Weise selbst in der Hand, seine digitale Zukunft zu gestalten.