Daten für mehr Prozessqualität und Ergonomie
Um die Arbeitsschritte im Umschlagslager noch besser zu verstehen, hat sich DACHSER mit dem Start-up MotionMiners zusammengetan. An fünf Standorten erprobten die Partner ein neues Verfahren zur Verbesserung der Prozessqualität – was dann auch positive Auswirkungen auf die Arbeitsergonomie haben soll.
Rund um die Uhr sorgen Tausende Logistics Operatives im DACHSER Netzwerk dafür, dass die Lieferketten der Kunden zuverlässig funktionieren. Ein Großteil von ihnen ist im Herzstück der Logistik beschäftigt – den Umschlaglagern. Dort wird die meiste Arbeit manuell geleistet: Es werden die Lkw ausgeladen, die Waren gescannt, Paletten in die Halle verbracht, um sie zwischenzulagern oder gleich in einen anderen Lkw umzuladen. Ein ständiger, pulsierender Kreislauf.
Damit verbunden sind Prozesse, die eingespielt und routiniert sind. Dennoch ergibt sich immer wieder Potenzial für Verbesserungen und auch Erleichterungen für die Mitarbeiter in Sachen Arbeitsergonomie. Die übliche Voraussetzung dafür ist eine Prozessanalyse auf Basis von Messergebnissen. Der Nachteil: Wirklich objektiv sind viele dieser Analysen nicht. Denn die meist herangezogenen klassischen Methoden bergen diverse Schwachstellen.
Es ist ebenfalls nicht jedermanns Sache, bei der Arbeit von einer anderen Person beobachtet zu werden, was aber Bestandteil einiger konventioneller Untersuchungsmethoden ist. Denn bewusst oder unbewusst sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dann darauf bedacht, alles richtig und möglichst schnell zu erledigen. Dieses Vorgehen liefert zwar ein Ergebnis und damit einige wichtige Indizien, wie ein Prozess abläuft, und was verbessert werden kann, jedoch ist die Erhebung der Daten, neben ihrer Subjektivität sehr zeitintensiv.
DACHSER hat sich deswegen auf die Suche nach neuen Lösungen gemacht, um die Effizienz, die Ergonomie und damit die (Arbeits-)Qualität im Warenumschlag zu optimieren. Fündig wurde man bei einem jungen Unternehmen aus Dortmund. Im Oktober 2017 hatten sich dort drei Mitarbeiter des Fraunhofer-Instituts für Materialfluss und Logistik IML, zusammengeschlossen und die Firma MotionMiners gegründet. Seit Sommer 2019 arbeitet das Start-up unabhängig vom Fraunhofer-Institut.
Entwicklungsprojekte voranbringen
DACHSER beschäftigt sich auf der Suche nach innovativen Lösungen schon lange intensiv mit Start-ups in der Logistik. So pflegt das DACHSER Enterprise Lab eine intensive Partnerschaft mit dem Dortmunder Fraunhofer-Institut IML, um Forschungs- und Entwicklungsprojekte zu entdecken, die das DACHSER Netz voranbringen. Dazu zählen insbesondere Themen rund um digitale Technologien, wie Data Science und künstliche Intelligenz, Echtzeit-Lokalisierung und der Mobilfunkstandard 5G, die Vernetzung von Maschinen (Internet of Things), autonome Fahrzeuge und adaptive Warehouse-Systeme.
So wurde DACHSER auch auf MotionMiners aufmerksam. Zunächst konzentrierte sich das junge Unternehmen darauf, im Warehouse nach Optimierungspotenzialen zu suchen. In der Zusammenarbeit mit DACHSER weitete sich dann die Entwicklung auf den speditionellen Umschlagsbetrieb aus.
MotionMiners liefert eine Technik, die es ermöglicht, reale Daten von Arbeitsabläufen und Arbeitsumgebungen zu erfassen, ohne dass Mitarbeiterdaten erfasst werden. In der Praxis sieht das so aus: In fünf deutschen DACHSER Niederlassungen wurden in den letzten Monaten Messungen durchgeführt. Dabei liefern mobile Sensoren, sogenannte Wearables, die entweder an der Kleidung oder an einem Armband der Mitarbeiter angebracht sind, anonymisiert Daten. Diese Bewegungstracker sind sonst vor allem im Sport im Einsatz. Die Gründer von MotionMiners nutzen die automatische Aktivitätserkennung dagegen, um die Intralogistik zu optimieren.
Zusammen mit stationären Sensoren, die in der Halle oder am Regal befestigt sind, zeichnen sie die realen Abläufe auf. So konnten Daten beim Umschlag, wie das Be- und Entladen, das Scannen oder das Verbringen der Paletten in die Halle, erfasst werden. Neben den Zeiten für die Prozesse erfassen die Sensoren auch ungesunde und belastende Bewegungen.
Vor der Datenerhebung stand die eingehende Abstimmung mit dem IT-Ausschuss des Gesamtbetriebsrats. Die Teilnahme war für die Mitarbeiter freiwillig, und die anonymisiert aufgenommenen Daten wurden anschließend ausgewertet. Unter diesen Voraussetzungen können die Mitarbeiter unbefangen arbeiten. „Es war kein Problem, die Mitarbeiter von einer Teilnahme zu überzeugen“, bestätigt Steffen Faul, Operations Manager Transit Terminal in Langenau, einem der Mess-Standorte. Die Sensorik sei nicht als störend empfunden worden. „Der Vorteil dabei ist, dass wir die Möglichkeit erhalten, den täglichen Betrieb in Gänze und allen unvorhersehbaren Ereignissen objektiv zu erfassen“, erklärt Mauritius Herden, verantwortlicher Team Leader Production Processes bei DACHSER Food Logistics.
„Die hier gewonnenen Daten ermöglichen uns eine vollkommen neue Transparenzebene, die wir vorher nicht erwartet hätten“, ergänzt Cornelius John, Team Leader Production Optimization im DACHSER Head Office in Kempten. Spannend gestalten sich auch sogenannte Heatmaps. Auf einem Grundriss der Umschlagsfläche lässt sich zeigen, auf welchen Wegen sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter besonders oft bewegen, und an welchen Stellen es zu Engpässen und Wartezeiten kommt. Diese lassen sich dann vor Ort untersuchen und im Idealfall beheben.
Körperlichen Belastungen verringern
„Das Spannendste sind die Erkenntnisse, die wir für die Ergonomie gewonnen haben“, erklärt Herden. Die Tracker dokumentieren, wie oft sich ein Mitarbeiter bei der Arbeit bücken muss, um etwa Labels am unteren Rand einer Palette zu scannen, oder um etwas aufzuheben. In einem anderen Fall wurden viele Überkopf-Bewegungen beim Entladen festgestellt. „Letztendlich zeigen die Messungen erstmals eine wirklich belastbare Datengrundlage, um die körperliche Belastung für Mitarbeiter zu bewerten“, so Herden.
Bis Ende Dezember 2020 wurden an den fünf Standorten 1.800 Datenstunden erhoben. „Es ging uns in dem Projekt zunächst darum, transparent zu machen, von welchen Prozesszeiten wir überhaupt sprechen“, resümiert John. Auf dieser Basis könnten nun konkrete Empfehlungen und Maßnahmen erarbeitet werden, um die Arbeit im Umschlag strategischer und effizienter zu gestalten sowie die Logistics Operatives besser bei ihrer täglichen Arbeit zu unterstützen. Für den Leiter des Umschlags in Langenau, Steffen Faul, ist das ein klarer Pluspunkt. „Wir konnten die tatsächliche Belastung der Mitarbeiter messen und können so im besten Fall krankheitsbedingte Ausfälle oder gar Berufskrankheiten vermeiden.“
Basierten die Empfehlungen für die Niederlassung bisher eher auf einem Bauchgefühl oder auf Stichproben, gibt es nun belastbare, objektive Daten. „In Zukunft können wir Handlungsempfehlungen erstellen und Best-Case-Strukturen anbieten“, so John.
Ein gutes Jahr lang lief das Pilotprojekt, nun wird es an weiteren Standorten fortgeführt. Künftig sollen Daten in verschiedenen Niederlassungen im In- und Ausland und für andere Prozesse und Tätigkeiten im Warehouse erhoben werden. „In den kommenden Jahren ist eine schrittweise Ausweitung der Messungen im DACHSER Netz geplant“, kündigt John an. Steffen Faul wünscht sich zudem wiederholte Messungen an den bisherigen Standorten. „Die Aufgaben verändern sich im Laufe der Zeit. Daher von mir ein klares Ja zu einer erneuten Messung, auch bei uns im Umschlag in Langenau.“
Schließlich sollen auch die Kunden von den ermittelten Daten etwas haben. „Sie profitieren von der gewonnenen Transparenz im Umschlagsbereich, weil wir hierdurch Ansatzpunkte zur Optimierung der Produktionsprozesse erhalten, wodurch wir letzten Endes eine noch höhere Qualität bieten können“, ergänzt John.