Lokal statt Global? Lieferketten im Wandel
Die Lieferketten sind im Umbruch. Viele Unternehmen denken darüber nach, zumindest Teile der Produktion wieder näher an die Absatzländer zu holen. Die Covid-19-Pandemie ist dafür nicht der alleinige Grund, sie wirkt aber als Beschleuniger.
Jetzt fahren sie wieder, die großen Container- und Frachtschiffe. So langsam kommt der Welthandel nach dem Corona-Schock der vergangenen Monate wieder in Schwung. Auch wenn die Volumina noch lange nicht auf dem Niveau der vergangenen Jahre sind. Und vielleicht werden sie auch nie mehr dahin kommen. Corona hat weltweit die Lieferketten kräftig durcheinandergebracht. Lange etablierte Verkehre und Routen kamen im Lockdown nahezu zum Erliegen. Von einem Tag auf den anderen wurde deutlich, wie sehr wir bei unserer täglichen Versorgung von funktionierenden Lieferketten abhängig sind. In der weltweit just-in-time abgestimmten und miteinander verzahnten Produktion griff bisher jedes Rädchen nahtlos ins andere – bis Covid-19 kam.
„Schon früh wurden im Gefolge der Virus-Erkrankungen akute Störungen in den internationalen Lieferketten befürchtet“, stellt das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) fest. Die Befürchtungen sollten sich bewahrheiten. Wochenlang kam kaum ein Frachtschiff aus Asien in Europa an. Nachdem die Lager geleert waren, fuhren die Unternehmen gezwungenermaßen die Produktion herunter oder stellten sie gleich ganz ein. Laut einer IW-Umfrage im Juni waren 60 Prozent der Unternehmen von den Störungen der internationalen Wertschöpfungsketten betroffen. Bei 18 Prozent kam es zu starken Produktionsausfällen.
Anders als bei regionalen Ereignissen, bei denen die Unternehmen in der Regel schnell alternative Quellen und die Logistikdienstleister andere Routen finden, betraf der Lockdown mehr oder weniger zeitgleich die gesamte Welt. Und so wurde schnell der Ruf nach einer Veränderung der globalen Warenströme laut. Insbesondere nachdem Medikamente, Schutzkleidung und Atemmasken eine Zeitlang kaum mehr zu bekommen waren, riefen selbst Globalisierungsverfechter Unternehmen dazu auf, die Produktion ins Inland oder zumindest nach Europa zurückzuverlegen.
Unternehmen überdenken ihre Lieferketten
Viele Unternehmen folgen diesem Ruf und überdenken mittlerweile ihre Lieferketten. Das zeigt eine Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) aus dem Juli. Demnach sehen sich derzeit fast 40 Prozent der Unternehmen nach neuen, nähergelegenen Lieferanten um. Etliche Unternehmen planten zudem die Rückverlagerung der Produktion nach Deutschland und an andere europäische Standorte.
Laut der Strategieberatung McKinsey wollte im Mai etwa jedes zweite besonders von den Störungen betroffene Unternehmen aus der Automobilbranche und aus dem Anlagen- und Maschinenbau die Produktion wieder näher zusammenführen. „Die Krise verändert die Geschäfte und perspektivisch auch die Lieferketten“, beschreibt DIHK-Außenwirtschafts-Chef Volker Treier die Entwicklung.
Corona sorgt auch für einen weiteren Digitalisierungsschub. Nach einer Studie des Beratungsunternehmens PwC wollen Unternehmen verstärkt in das Monitoring und in das Risikomanagement ihrer Lieferketten investieren. Dafür werde neue Digitaltechnik nötig sein. „Wir werden einen Technologieschub im Lieferketten-Management sehen“, so die Prognose der Marktforscher.
An eine Regionalisierung der Logistikketten glaubt auch Christian Kille, Professor für Handelslogistik und Operations Management an der Hochschule Würzburg und Initiator des Rates der Logistikweisen. „Die Unternehmen denken darüber nach, die Ketten zu verkürzen“, so Kille. Das habe nach seiner Einschätzung aber weniger mit der aktuellen Situation zu tun. Der Druck zu mehr ökologischer Nachhaltigkeit in den Lieferketten, der wachsende Onlinehandel sowie die Notwendigkeit, schneller auf die schwankende Kundennachfrage zu reagieren, habe schon vor Jahren einen Trend zur Regionalisierung ausgelöst. Die Pandemie verstärke diese Entwicklung nur.
Entspannung in Sicht
Wie schnell das Umdenken kommt, ist unsicher. Denn die Lage entspannt sich zusehends. Im März berichtete laut dem Institut der Deutschen Wirtschaft noch gut ein Drittel der Unternehmen, dass die Lieferketten erheblich gestört seien. Mittlerweile erwarten nur noch zwölf Prozent der befragten Firmen, dass fehlende Vorleistungen aus dem Ausland, und da insbesondere aus China, die Geschäftsabläufe in diesem und im nächsten Jahr beeinträchtigen werden.
Mittlerweile sprechen einige Indizien dafür, dass viele Unternehmen ihre Lieferketten wohl nicht grundlegend verändern werden. Laut IW gaben im März noch elf Prozent der befragten Unternehmen an, dass sie die Lieferungen von Vorleistungen aus China strategisch reduzieren oder eine Rückverlagerung in Erwägung ziehen. Bei einer erneuten Befragung Ende Juni war dies nur noch für rund zwei Prozent der Unternehmen eine Option.
Ein Zurück zum Status vor der Pandemie dürfte es trotzdem nicht geben. So müssen Unternehmen vermehrt auf Handelskriege und Zölle, die mit dem wachsenden Machtanspruch Chinas häufiger nicht nur von den USA, sondern auch von Europa verhängt werden könnten, vorbereitet sein. „Der Handelskonflikt zwischen den USA und China verursachte bereits eine Umstrukturierung der globalen Produktions- und Lieferketten und förderte den Handel in Ländern wie Mexiko oder Vietnam“, stellt Paul Tostevin, Director World Research beim Immobilienberatungsunternehmen Savills, fest. Hinzu komme politischer Druck. „Sowohl in Frankreich, Japan als auch Indien werden Stimmen nach mehr wirtschaftlicher Unabhängigkeit laut“, beobachtet Tostevin.
Die Savills-Logistikexperten gehen davon aus, dass in Europa vor allem die osteuropäischen Länder, wie die Ukraine, Serbien oder die Tschechische Republik, von der Umstrukturierung der Lieferketten profitieren werden. In Asien könnten Indonesien und Thailand eine kostengünstige Alterative zu China sein. Außerdem könnten neue Logistik-Knotenpunkte entstehen. So sei etwa das nordafrikanische Marokko von Westeuropa aus leicht erreichbar.
Allerdings sind die Versorgungsketten oftmals so komplex, sodass eine Verlagerung schnell teuer kommt. Wie groß die Vorteile des sogenannten Nearshoring letztlich seien, so die Marktforscher, hänge stark vom Produkt ab. Kurzfristig erwartet Savills eine größere Fragmentierung der Lieferketten.
Welche Learnings ergeben sich aus der Pandemie für die Logistik? Ein einfaches Zurück zum Vor-Corona-Status-Quo erscheint derzeit wenig vorstellbar. DACHSER CEO Bernhard Simon hofft auf ein grundlegendes Umdenken in den Unternehmen. „In der Vergangenheit wurde Logistik oft in erster Linie als Kostenfaktor im Einkauf gesehen, der optimiert werden musste.“ Nun müssten Entscheider in Unternehmen und staatlichen Organisationen vermehrt prüfen, inwiefern ihre bislang weit verzweigten Wertschöpfungsketten Risiken bergen. Diese Risiken müssten auf die neuen Bedingungen angepasst und bewusster gesteuert werden.
„Eine komplette Nationalisierung oder Regionalisierung der Lieferkette ist genauso suboptimal und risikoreich wie sämtliche Produkte aus einem Land zu beziehen“, sagt Simon. Dabei dürfe es auch nicht vorrangig darauf ankommen, nur die Kosten, die Distanzen und den CO2-Fußabdruck so klein wie möglich zu halten. „Die Kunst liegt darin, robuste Versorgungsnetze aufzubauen, die lokale Lieferanten ebenso wie Quellen aus China, den USA und Europa intelligent einbeziehen. Dazu trägt maßgeblich auch der gezielte Aufbau entsprechender Redundanzen bei.
...ist, dass Lieferketten in Zukunft deutlich flexibler und breiter aufgestellt sein werden. Da gehört – trotz aller Handelsstreitigkeiten und politischer Differenzen – weiterhin auch China mit dazu. So haben die verknappten Kapazitäten in der Luft- und Seefracht dazu geführt, dass Rail-Services und sogar Lkw-Verkehre zwischen China und Europa derzeit einen Boom erleben.